Nach Nizza mit dem Velo

Bekenntnisse eines Directeur sportifs

«Ich will nach Nizza baden gehen – mit dem Velo. Kommst du mit?» Dieser gemailte, lapidare Satz von André war der Anfang des gigantischen Unternehmens Tapir-Racing-Trophy. Ich sass an meinem Schreibtisch und starrte diesen Satz an – mit der stärksten Brille die ich mein Eigen nenne. «Mit dem Velo!» Jetzt ist die letzte Ersatz-Sicherung meines elektronischen

Walo Hottiger bei der Auswertung der jüngsten Fahranalysen.

und sonstigen Genies Maerz durchgebrannt. Ein klarer Fall von Überarbeitung – ein zweiter Einstein vor dem Wahnsinn. Der Anfang des totalen Zusammenbruchs.Fassungslos zwickte ich mich energisch in die Wange. Der Satz flimmerte immer noch über den Schirm. «Mit dem Velo!» Die Totenstille im Raum riss sogar meinen einzigartigen Boxer-Hund aus seinem Schnarchzustand. Fragend starrte er mich unruhig mit seien dunklen Augen an und legte seine mächtige Schnauze noch mehr in Falten.

 

Das war ziemlich genau vor 6 Monaten, am 2. Januar genau. Was dann passierte, war eine einzige, nicht mehr bremsbare Vorbereitung für eine Expedition, die ihresgleichen sucht. Eine Sitzung jagte die andere. Bei uns selbstverständlich Rapport genannt. Schliesslich sind wir beide stolze Angehörige der schweizerischen Militär-Armee (nicht Heils-Armee). In meinem Fall leider altershalber ausgemustert, aber immer noch i. R. (in Reserve).

 

In unserer Préparation fehlte nichts – aber auch gar nichts. Beispiel gefällig:

 

• Peinlich genau Fahrerkontrolle mit täglichen exakten Angaben über Strecke, gefahrene Km, Höhendifferenz, Durchschnitt, Wetter, Zeit, persönlicher psychischer Zustand des Fahrers, welche Tageszeit gefahren etc. Das Ganze hinterlegt mit Karten & entsprechenden Fotos (mit Doppelklick einzusehen).

• Periodische Ausfahrten mit Begleitauto.

• Schriftliche, seitenlange Kritik des Directeurs sportif (das bin ich – für alle jene die glauben, ich sei Boxerhunde-Züchter). Die Kritik beinhaltete jeden nur erdenklichen Körperteil des Tapirs. Selbst sein besstes Stück und dessen Linkslastigkeit waren Anlass für stundenlange Theorien, Reminiszenzen und einem anschliessenden Entschluss.

• Auch in den Teller und die Gläser des Herrn Maerz wurde geschaut. Immer wieder. Hie und da als Bltzbesuch getarnt.

• Die Mini-Freizeit des Tapirs bekam eine neue Dimension. Da wurde um Minuten gerungen. Nach dem Motto: Arbeiten, Trainieren, Sibyl und Kinder – und dann fertig.

• Untersagt war schwimmen, tanzen, langes marschieren, plaudernd herumstehen, schwere Lasten tragen, Haare schneiden (wegen Sonnenbrand im Nacken). Apropos Haare: Da gab’s übrigens den einzigen Mini-Streit: Tapir hätte sich lieber standrechtlich erschiessen lassen, als den Schnauz zu coupieren. Dabei wollte ich nur möglichst wenig Windwiederstand!

• Trainingslager wurden durchgeführt. Natürlich Höhenlager – versteht sich.

• Spitzel im gesamten Glarnerland arbeiteten für mich. Mein Auge wachte im wahrsten Sinne des Wortes Tag und Nacht über meinem Siegfahrer.

 

Wer das liesst wird zwar André, seine Idee und sein Ziel um verschiedene Hausecken herum verstehen. Aber er wird sich fragen (auch meine Frau rätselt immer noch) warum zum Teufel ich da mitmache. Warum?

 

• Weil mir in Sachen Sturheit und Fanatismus für eine gute Sache der gute Tapir nicht das Wasser reichen kann.

• Weil ich den Velosport über alles liebe.

• Weil ich in keinem anderen Land der Welt als in Frankreich (ausser der Schweiz) leben könnte.

• Weil ich den André Maerz mag wie keinen Zweiten und ihm einiges schuldig bin.

• Weil ich – wie mein zweiter Glarner Freund und persönlicher Rüstungschef Daniel Kistler es auszudrücken beliebte – «einfach spinne». Das muss es wohl sein.

• Weil ich ein Berg-Mensch bin, Felsen und Geröll liebe und auf einer möglichst abgelegenen Alpweide wohnen möchte. Aber da ist leider mein seit 32 Jahren angetrautes Stadt-Weib ganz und gar anderer Meinung. Und bekanntlich gibt der Gescheitere nach...