«Ein Mungg, ein Mungg!»

Von Katzen, Hunden, Murmeltieren und Radfahrern

Munggen, wohin das Auge reicht: Aussicht von der Cime de la Bonnette

Der brave Honda, das Direktions-Begleitfahrzeug, schnurrt langsam und gemächlich wie eine fette Katze durch die relativ steilen Kehren der Mondlandschaft des Bonette-Passes. Ich hänge am Steuer mit  dem guten Gefühl, dass mein Siegfahrer ein paar Kehren weiter oben mit allem versorgt ist, was ein Anwärter für die Amateur-Lizenz in einem schwierigen Pass braucht.

 

Sibyl neben mir, ebenfalls lockerer als auch schon, hält wie immer nur vier Dinge in ihren kleinen Händen. Die überdimensionale Überlebens-Handtasche (exakter Beschrieb unter Furka-Etappe), ihr Natel, die Landkarte 1:50 000 und die obligate, geliebte Kamera. Sie hält sie – echt Profi – jederzeit schussbereit. Schliesslich gibt es neben ihrem leidenden Super-Mann Andi auch noch andere Motive, die in ihrer Schönheit unseren Siegfahrer locker übertreffen. Kein Wort fällt. Wir geniessen diese einmalige Berg-Landschaft!

 

Mitten in dieser echten Oase der Stille durchdringt meine grossen Ohren plötzlich ein gellender Schrei: «Ein Mungg, ein Mungg!» Eine explodierende Handgranate hätte keine grössere Wirkung haben könne. Haarscharf kurve ich vor lauter Schreck an einem Riesenstein vorbei. Fast hätte ich den Motor abgewürgt. Meine Sonnenbrille wird unter das Bremspedal geschleudert. Der Honda heult. Mein erster Gedanke: Jetzt wurde meine Presse-Chefin von einem bösartigen Insekt gestochen. Die Rettungs-Rega-Telefon-Nummer geistert mir blitzartig durch den Kopf.

 

Was zum Teufel für ein giftiges Drecksvieh ist ein «Mungg»? Und dann, Gott im Himmel sei’s gedankt, dringt Sibyls fröhliche, normale und gesunde Stimme an mein rechtes Riesen-Ohr: «Und schau dir diesen Schwanz an. Richtig schön buschig.» Auch ich sehe jetzt was ein Mungg mit buschigem Schwanz ist. Ich habe ja nur gewisse Probleme mit den Farben, aber blind bin ich ganz und gar nicht.  Nichts anderes als ein wunderschönes, scheues Murmeltier (für normal sprechende Schweizer), das rechterhand blitzartig in einem Felsloch verschwindet. Alle jene lieben Menschen die mich kennen und schätzen wissen, dass ich fast nie jammere. Bin eben nicht der Typ dazu. Aber nachdem mir meine Passagierin ausführlich – mit erstaunlicher rhetorischer Fähigkeit ausgestattet – im breitestem Glarner-Dialekt und gottseidank wieder gedämpfter Stimme erklärt hat, dass ein Murmeli im Täli eben Mungg heisst, muss ich doch ein Machtwort sprechen.

 

Das da heisst, dass sich ein Directeur sportif und seine Begleiter vollumfänglich um das Wohl des Fahrers zum kümmern habe. Dass das allein zähle. Das – und dann lange nichts anderes. Wo kämen wir denn da hin, wenn wir einem Mungg nachschauen, und der Siegfahrer unterdessen in eine Felswand donnert. «So nicht», sind die Schlussworte meiner «Zur Sache»-Rede.

 

Sibyls Augen flackern. Stumm sitzt sie da – süss in ihrer Zerknirschtheit. Ähnlich wie etwa eines ihrer Schulkinder, das sie in Ennenda für die harte Schule des Leben vorbereitet. Nur ihre rechte Hand zeigt eine winzige Regung. Die Hand mit der Kamera. Die Hand zittert. Nicht meiner mahnenden Wort wegen – sondern aus Zorn, dass sie ihren Mungg nicht abgelichtet hat.

 

So sind eben viele Frauen. Nachtragend bis zum geht nicht mehr. Und wenn’s um die eigene Kamera geht. Aber schuld ist eigentlich der Mungg. Er und seinen schwanzbauschigen Brüder lassen sich eben nicht so oft und vor allem gerne fotografieren wie zum Beispiel unser strahlender Held – der überall bewunderte Siegfahrer...