Das Zen des Bequem-

die-Beine-Streckens

Notizen aus dem Fahrerlager

Ein Jeder tut, was er kann. Und was er nicht kann, das versucht er trotzdem. Nicht immer einfach, je nachdem, um was es geht. Die Hektik ist gross, die Erwartungen ebenso.

Selbst 800 km von zu Hause entfernt, bleibt jeder, was er auch in seinen eigenen vier Wänden ist. Ich kenne nicht alle Wände aller Tourteilnehmer, aber jene in Ennenda sind mir wohl bekannt. Davon kann ich getreulich berichten, ohne dass mir dabei die Nase über die normale Länge hinaus wächst. Jedoch was sich in jenen von Wolfhausen abspielt, kann ich nur erahnen aus den dreizehn gemeinsam verbrachten Tagen.

Ausrüstung und Haltung müssen stimmen: Tour-de-France-Schauen für Profis.

Ich werde mich darum tunlichst davor hüten, irgendwas über Kissen, Kopfteilschrägstellung, Fernseher im Zimmer, Lichtschalter, Fernsehwecker, ausgeklügelte Lüftungssysteme, Lupen im Badezimmer, wegen Spiegelwänden angebrannte T-Shirts, angeschraubte Tische, Ummöbilierungen, Schlüsseltricks und Lichtmangel oder Fliegen verlauten zu lassen. Ich weiss von nichts. Und weder André noch ich haben Walo als Bettprofi bezeichnet... Was andere brauchen, damit sie sich nach einem ereignisreichen Tag entspannen können, weiss ich nicht. Der Directeur jedenfalls scheint diesbezüglich ausgefeilte Techniken zu besitzen.

 

Sich alle zwei Tage auf eine neue Schlafstätte einzustellen, ist für mich kein grosses Problem. Ich schaue mir das Bad und das Bett an, entscheide mich, ob es mir angenehm oder unangenehm ist, registriere die neuen Gerüche und Geräusche und stelle mich dann dementsprechend auf die zwei in diesem Zimmer zu verbringenden Nächte ein. Das einzige Problem, das ich habe, löse ich elegant mit zwei kleinen Stöpseln namens «Frieden für die Ohren». Und wenn ich dann immer noch nicht schlafen kann, so liegt das nicht am Bett, nicht am Kissen, nicht am Lärm, nicht am Geruch oder am Licht. Nein, es liegt einzig und allein daran, dass sich meine Gedanken noch immer im Kopfe drehen und drehen und drehen...

 

Wie schon verschiedentlich erwähnt, geht es in dieser Tour vor allem um unseren Nachwuchssportler, der heute im weissen Tricot fährt. Des Directeurs ganze Sorge gilt einzig und allein ihm. So kümmert er sich um den Wasserhaushalt des Fahrers, der heute übrigens zur Entrüstung des W. P. Hottigers wiederholt den Befehl zu trinken ignoriert hat und stante pede weitergefahren ist. Selbstverständlich sind sämtliche gekühlten Getränke während dieser Tage tabu. Der Fahrer aber verzeichnet keinerlei Magenbeschwerden und spricht sich deshalb selber frei vom Eiswürfelverbot.

Das Essen ist ein weiterer wunder Punkt im Leben des Grimpeurs mit dem Tüpfliliibli. Das heisst, dem Fahrer scheint es weniger Sorgen zu bereiten, als dem Nahrungsaufnahmeverantwortlichen Hottiger. Der Fahrer verzeichnet regelmässigen Stuhlgang und spricht sich darum selber frei von jeglicher Sportlerdiät.

 

Der nächste Knackpunkt ist der Schlaf. Wie wir alle wissen, ist ein gesunder Schlaf das A und O eines jeden Höchstleistungssportlers. Die Floskel «Hast du gut geschlafen?», ist in diesem Zusammenhang keine nur so dahergesagte Redewendung. Es ist eine ernst gemeinte, ernst zu nehmende, täglich, an Renntagen täglich zweimal gestellte Frage des Directeurs an seinen Fahrer, die zu beantworten dieser sich eigentlich reichlich Zeit lasse sollte, um ihr die gebührende Ernsthaftigkeit zu verleihen. Tut er aber nicht, denn zu sagen ist in diesem Zusammenhang, dass der Siegfahrer nebst dem Zen des Strampelns auch noch das Zen des Sich-Hinlegens-und-sofort-Einschlafens derart perfekt beherrscht, wie kaum ein anderer. Die Sorge des Directeurs löst sich bei dieser Frage stets in Luft auf. Vor allem scheint der Fahrer immer weniger erholungsbedürftig zu sein. Wirkte er nach den ersten beiden Etappen jeweils noch ziemlich havariert und erholungsbedürftig, so stieg er bei jeder folgenden um eine Spur lockerer vom Rad.

 

In der Disziplin des «Sich-Hinlegens-und-völlig-entspannt-die-Tour-de-France-Guckens» führt noch immer André mit 7 Punkten Vorsprung. Walo und ich haben keine Chance. Jeder tut was er kann und was er nicht kann, versucht er trotzdem zu tun.